1 00:00:00,000 --> 00:00:02,840 In unserem ersten Video zur biographischen Diagnostik 2 00:00:02,840 --> 00:00:05,760 haben wir über die Grundlagen biografischer Diagnostik gesprochen. 3 00:00:05,760 --> 00:00:07,520 Heute wollen wir uns - wie versprochen 4 00:00:07,520 --> 00:00:11,480 - mehr auf das Konkrete wie diagnostizieren konzentrieren. 5 00:00:11,520 --> 00:00:13,920 Dazu werden wir das Vorgehen generell vorstellen 6 00:00:13,920 --> 00:00:17,280 und dabei auf Konzepte und Verfahren biographischer Diagnostik hinweisen. 7 00:00:17,280 --> 00:00:20,000 Im Fokus steht dabei ein Instrument zur Darstellung, 8 00:00:20,000 --> 00:00:21,480 rekonstruiert ein Lebensverläufe. 9 00:00:21,480 --> 00:00:22,920 Um nachvollziehen zu können, 10 00:00:22,920 --> 00:00:25,880 wie wir dieses Instrument sinnvoll einsetzen können, 11 00:00:25,880 --> 00:00:28,560 um erweitertes methodisches Verstehen zu ermöglichen. 12 00:00:28,560 --> 00:00:32,080 Fassen wir zuerst zentrale Punkte aus dem letzten Video zusammen. 13 00:00:32,120 --> 00:00:35,040 Anschließend gehen wir auf das narrative Interview ein 14 00:00:35,040 --> 00:00:38,520 und stellen euch die Erhebung und Auswertung mit easyBiograph vor. 15 00:00:38,560 --> 00:00:39,960 Schließlich wollen wir anhand 16 00:00:39,960 --> 00:00:44,080 von einem Fallbeispiel einen möglichen biographiediagnostischen Umgang 17 00:00:44,280 --> 00:00:47,280 mit Lebensgeschichte veranschaulichen. 18 00:00:49,560 --> 00:00:51,160 Wie im letzten Video besprochen, 19 00:00:51,160 --> 00:00:55,360 geht es in der biographischen Diagnostik um Deutungen von Mustern und Strukturen 20 00:00:55,360 --> 00:01:00,000 gelebten, erlebten und erzählten Lebens - also um sogenannte Narrationen. 21 00:01:00,000 --> 00:01:03,000 Nach Schütze, Fischer und Goblirsch sowie Hölzle 22 00:01:03,040 --> 00:01:06,360 sollen diese Deutungen relevante Informationen zum Verständnis 23 00:01:06,360 --> 00:01:10,920 und zur Bewältigung des aktuellen Lebens eines Menschen - als Hinweise auf 24 00:01:10,920 --> 00:01:14,320 und Erklärung unter anderem von Bedürfnissen, Ressourcen 25 00:01:14,320 --> 00:01:17,280 aber auch von Verhalten, Erleben und Denken bereitstellen. 26 00:01:17,280 --> 00:01:20,400 Es geht also - mit Ader und Schrapper sowie Thiesmeier gesprochen 27 00:01:20,400 --> 00:01:24,480 - in der biographischen Diagnostik um die Nutzbarmachung der individuellen 28 00:01:24,480 --> 00:01:28,960 Lebensgeschichte als Ressourcenpool unter anderem zur Lebensbewältigung. 29 00:01:29,000 --> 00:01:32,280 Was haben die jeweiligen Personen wie, wann und wodurch 30 00:01:32,280 --> 00:01:35,640 oder womit bereits erfolgreich bewältigt und wie kann das für aktuelle 31 00:01:35,640 --> 00:01:38,880 Themen und Probleme der Adressat*in Sozialer Arbeit nutzbar werden? 32 00:01:38,880 --> 00:01:42,520 Zur Beantwortung dieser Frage wird die Lebensgeschichte 33 00:01:42,520 --> 00:01:47,160 rekonstruktiv-biografisch auf drei voneinander abhängigen Ebenen betrachtet; 34 00:01:47,160 --> 00:01:51,480 die Ebene des gelebten, die des erlebten und die des erzählten Lebens. 35 00:01:51,480 --> 00:01:55,760 Zur Erinnerung: gelebtes Leben ist dabei der tatsächliche Lebensverlauf 36 00:01:55,760 --> 00:01:59,640 mit allen Ereignissen; erlebtes Leben bezieht sich auf die Subjektperspektive 37 00:02:00,000 --> 00:02:03,200 bezüglich der Ereignisse, also das “Wie” und die daraus 38 00:02:03,200 --> 00:02:05,640 resultierenden mehr oder weniger bewussten Erfahrungen; 39 00:02:05,640 --> 00:02:08,600 das erzählte Leben ist, als sprachliche Rekonstruktion, 40 00:02:08,600 --> 00:02:12,640 die gezeichnete Gesamtfigur des eigenen erlebten und gelebten 41 00:02:12,640 --> 00:02:16,560 Lebens, orientiert an expliziten und impliziten Sinnstrukturen. 42 00:02:16,600 --> 00:02:21,200 Biografische Diagnostik setzt also an der Biografie, dem Lebenslauf 43 00:02:21,200 --> 00:02:24,680 plus der subjektiven Bedeutungsgebung an und versucht hier sinnvoll 44 00:02:24,680 --> 00:02:28,920 zu rekonstruieren, um Anhaltspunkte für konkrete Praxis zu erhalten 45 00:02:28,920 --> 00:02:31,440 und zwischenmenschliches Verstehen zu realisieren. 46 00:02:34,680 --> 00:02:36,880 Wie bereits im ersten Video erläutert, 47 00:02:36,880 --> 00:02:41,040 hat der überwiegende Teil biografischer Diagnostik Stegreiferzählungen 48 00:02:41,040 --> 00:02:44,040 zur Grundlage, unter anderem während der anamnestischen Phase. 49 00:02:44,280 --> 00:02:47,680 Nicht selten wird dabei mit bestimmten Erzählimpulsen oder auch 50 00:02:47,680 --> 00:02:51,280 Inszenierungsanregungen zum Beispiel bei Ader und Schrapper gearbeitet. 51 00:02:51,320 --> 00:02:54,280 Erzählimpulse können ganz unterschiedlich aussehen. 52 00:02:54,280 --> 00:02:57,720 Zum Beispiel kann der*die Diagnostikant*in aufgefordert 53 00:02:57,720 --> 00:03:01,720 werden, von ihrem Leben zu berichten und bei der frühesten Erinnerung anzufangen - 54 00:03:01,720 --> 00:03:04,720 zum Beispiel bei Höpfner und Jöbgen - oder es werden Fragen 55 00:03:04,720 --> 00:03:08,160 in Form von Leitfäden zu bestimmten Themen zur Verfügung gestellt 56 00:03:08,400 --> 00:03:09,840 wie bei Mollenhauer und Uhlendorf. 57 00:03:09,840 --> 00:03:13,400 Inszenierungsimpulse haben ebenfalls unterschiedliche Formen, 58 00:03:13,720 --> 00:03:17,600 zum Beispiel Bilder, Gesten, Körperhaltungen oder Gegenstände 59 00:03:17,600 --> 00:03:20,880 und können sowohl zum Erzählen als auch zu anderen Formen 60 00:03:20,880 --> 00:03:24,240 der Rekonstruktion - wie bildliche oder plastische Darstellung - über 61 00:03:24,240 --> 00:03:27,240 welche dann ebenfalls gesprochen werden kann, führen. 62 00:03:30,240 --> 00:03:32,360 Wir konzentrieren uns in diesem Video 63 00:03:32,360 --> 00:03:35,880 auf narrative Interviews, wie wir sie ja bereits im letzten Video besprochen haben. 64 00:03:35,920 --> 00:03:40,240 Diese kommen unter anderem sowohl in der hermeneutisch-pädagogischen Diagnostik 65 00:03:40,240 --> 00:03:42,040 nach Höpfner und Jöbgen, als auch in 66 00:03:42,040 --> 00:03:45,080 der narrativ-biographischen Diagnostik nach Fisher und Goblirsch vor. 67 00:03:45,120 --> 00:03:49,320 Leitfäden oder auch spezifischere Erzähl- und Inszenierungsimpulse 68 00:03:49,600 --> 00:03:52,200 finden sich unter anderem in den Konzepten von Rita 69 00:03:52,200 --> 00:03:55,200 Hansjürgens, Anna Lena Rademaker, Klaus Mollenhauer und Uwe Uhlendorf, 70 00:03:55,320 --> 00:03:58,320 Sabine Ader und Christian Schrapper oder auch bei Silke Gahleitner. 71 00:03:58,320 --> 00:04:01,560 Auf narrative Interviews konzentrieren wir uns auch darum, 72 00:04:01,560 --> 00:04:02,360 weil hierüber 73 00:04:02,360 --> 00:04:06,240 die Lebensgeschichte über möglichst große Teile des Lebensverlauf versucht wird 74 00:04:06,240 --> 00:04:07,120 zu rekonstruieren. 75 00:04:07,120 --> 00:04:10,960 Eine Strukturierungshilfe wie easyBiograph kann hierbei sehr hilfreich sein. 76 00:04:11,000 --> 00:04:13,040 Zunächst sei gesagt, dass es sehr wichtig ist, 77 00:04:13,040 --> 00:04:15,080 sich für die Gespräche genügend Zeit zu nehmen. 78 00:04:15,080 --> 00:04:16,080 Narrative Interviews 79 00:04:16,080 --> 00:04:19,200 laden zum ausführlichen Erzählen ein und sind nicht zeitbegrenzt. 80 00:04:19,200 --> 00:04:21,880 Die Dauer ist also nicht unmittelbar vorhersehbar. 81 00:04:21,880 --> 00:04:23,440 Die Erfahrung lehrt, dass ein Interview 82 00:04:23,440 --> 00:04:25,440 zwischen einer und drei Stunden dauern kann. 83 00:04:25,440 --> 00:04:26,560 Je nach Rahmenbedingungen 84 00:04:26,560 --> 00:04:30,360 macht es mitunter Sinn, mehrere - kürzere - Gesprächstermine zu vereinbaren. 85 00:04:30,360 --> 00:04:33,480 Außerdem geht es ja darum, Diagnostikant*innen zum Erzählen 86 00:04:33,480 --> 00:04:36,360 zu bewegen, insofern ist der eigene Gesprächsanteil 87 00:04:36,360 --> 00:04:39,240 weitgehend auf das Geben weiterer Erzählimpulse beschränkt 88 00:04:39,240 --> 00:04:42,120 und damit der Redeanteil der Diagnostiker*in minimal. 89 00:04:42,120 --> 00:04:45,840 Es handelt sich eben nicht um einen Dialog oder gar eine Diskussion. 90 00:04:45,840 --> 00:04:49,320 Hauptaufgabe der Diagnostiker*innen ist es aktiv zuzuhören. 91 00:04:49,360 --> 00:04:53,320 Empathie, Wertschätzung und Kongruenz, nach Carl Rogers sind dabei 92 00:04:53,320 --> 00:04:54,640 wichtige Haltungsgrundlagen. 93 00:04:54,640 --> 00:04:58,680 Nach Gabriele Rosenthal und Ulrike Loch gliedert sich eine Narration 94 00:04:58,680 --> 00:04:59,400 in fünf Phasen. 95 00:04:59,400 --> 00:05:03,160 Diese können, wenngleich für ein eher forschendes Vorgehen ausformuliert, leicht 96 00:05:03,160 --> 00:05:05,520 modifiziert für die biografiediagnostische Arbeit 97 00:05:05,520 --> 00:05:07,360 mit narrativen Interviews übernommen werden. 98 00:05:07,360 --> 00:05:10,440 Die Phasen sind erstens die Erzählaufforderung, 99 00:05:10,440 --> 00:05:13,640 zweitens die Haupterzählung, drittens der interne und viertens 100 00:05:13,640 --> 00:05:17,560 der externe Nachfrageteil und schließlich fünftens der Interviewabschluss. 101 00:05:17,600 --> 00:05:20,640 Die Erzählaufforderung kann ganz offen oder Fokal 102 00:05:20,640 --> 00:05:23,640 an einem bestimmten Thema oder einem Zeitabschnitt ausgerichtet sein. 103 00:05:23,640 --> 00:05:26,760 Klassisch ist die Aufforderung, wie vorhin bereits geschildert, 104 00:05:26,760 --> 00:05:28,440 schlicht:”Ich möchte Sie einladen, 105 00:05:28,440 --> 00:05:32,040 mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen, mit allem, was Ihnen dazu einfällt 106 00:05:32,080 --> 00:05:35,360 und Sie können sich die Zeit dafür nehmen, die Sie benötigen.” Liegt der Fokus 107 00:05:35,360 --> 00:05:37,680 auf einem bestimmten Thema oder einem Zeitabschnitt, 108 00:05:37,680 --> 00:05:40,200 wird der Erzählimpuls hierin orientiert ausgerichtet. 109 00:05:40,200 --> 00:05:40,600 “Sie haben mir 110 00:05:40,600 --> 00:05:44,400 von Ihrer ersten Ehe erzählt und wie sie die damalige Trennung getroffen hat. 111 00:05:44,440 --> 00:05:47,880 Ich möchte Sie bitten, mir mehr von Ihrem damaligen Leben zu erzählen 112 00:05:48,040 --> 00:05:50,040 und auch, wie sie das bis heute geprägt hat.” 113 00:05:50,040 --> 00:05:53,400 Die selbststrukturierte Haupt- oder Eingangserzählung ist als Antwort 114 00:05:53,400 --> 00:05:56,400 auf den Erzählimpuls zu verstehen und wird nicht unterbrochen. 115 00:05:56,400 --> 00:05:58,560 Die Diagostikant*innen entscheiden hier selbst, 116 00:05:58,560 --> 00:06:00,320 was sie erzählen und wie sie erzählen. 117 00:06:00,320 --> 00:06:04,040 Die Intensität aktiv zuhörender Stütze durch die Diagnostiker*in 118 00:06:04,080 --> 00:06:07,360 hat hierbei Einfluss darauf, wie detailliert die Erzählungen ausfallen. 119 00:06:07,360 --> 00:06:10,400 Wenn die Erzählung stockt, sind weitere Impulse gut platziert. 120 00:06:10,440 --> 00:06:14,200 Rosenthal und Loch sprechen von motivierenden Nachfragen wie: “Was ist 121 00:06:14,200 --> 00:06:17,760 dann passiert?” Wichtig bei Fragen ist, dass es sich bei diesen um offene handelt. 122 00:06:17,800 --> 00:06:20,880 Eine gute Orientierung, um das zu realisieren, ist die W-Regel. 123 00:06:21,120 --> 00:06:25,160 Bei Fragen, die eingeleitet werden, mit den Worten: “was”, “wer”, “wieso”, 124 00:06:25,160 --> 00:06:28,800 “weshalb”, “warum”, “wozu” oder auch “wie”, handelt es sich um offene. 125 00:06:28,800 --> 00:06:32,040 Aber auch andere Impulsformen, wie Paraphrasen können eingesetzt 126 00:06:32,040 --> 00:06:34,720 werden, um den Diagnostikant+innen den Zugang zu 127 00:06:34,720 --> 00:06:36,960 mit der Erzählung verbundenen Gefühlen zu ermöglichen. 128 00:06:36,960 --> 00:06:39,400 Das Ende der Haupterzählung wird meist deutlich markiert: “Ja, so war das;” 129 00:06:40,400 --> 00:06:41,880 oder auch einfach nur “Ende.”. 130 00:06:41,880 --> 00:06:44,280 Dann gilt es nach einem ehrlichen Dankeschön, 131 00:06:44,280 --> 00:06:45,960 in die Nachfragephase überzugehen. 132 00:06:45,960 --> 00:06:49,080 Erzählinterne Nachfragen sollen zu weiteren Erzählungen motivieren. 133 00:06:49,080 --> 00:06:52,480 Angelehnt an die Gliederung der Haupterzählung sollen so unklare, 134 00:06:52,480 --> 00:06:56,320 offene oder nur angedeutete Phasen oder Aspekte thematisiert werden. 135 00:06:56,360 --> 00:07:00,600 Auch hier gilt es, erzählgenerierend zu formulieren und nicht zu unterbrechen. 136 00:07:00,600 --> 00:07:03,720 Sollte die befragte Person nicht zu bestimmten Themen erzählen wollen, 137 00:07:04,040 --> 00:07:07,480 ist das natürlich zu respektieren und ebenso eine wertvolle Information. 138 00:07:07,480 --> 00:07:11,800 Bei den erzählexternen Nachfragen geht es um Themen, die Diagnostikant*innen 139 00:07:12,080 --> 00:07:13,920 ausgelassen haben, die aber unter anderem 140 00:07:13,920 --> 00:07:16,600 für gestaltungsdiagnostische Fragestellungen relevant sein können. 141 00:07:16,600 --> 00:07:17,640 Auch hier geht es um 142 00:07:17,640 --> 00:07:18,280 erzählgenerierende Fragen: 143 00:07:18,280 --> 00:07:21,360 “Sie haben in der Erzählung die Phase der Jugendzeit ausgelassen. 144 00:07:21,400 --> 00:07:22,760 Können Sie mir dazu etwas erzählen?”. 145 00:07:22,760 --> 00:07:25,520 Als Abschluss legen Rosenthal und Loch Wert darauf, 146 00:07:25,520 --> 00:07:29,240 dass die Diagnostikant*in sich aus belastenden Aspekten gelöst hat 147 00:07:29,520 --> 00:07:32,560 und - im Hier und Jetzt angekommen - ein Gefühl von Sicherheit hat. 148 00:07:32,560 --> 00:07:36,400 Eine gute Idee ist es dabei, hier nach besonders schönen Aspekten zu fragen 149 00:07:36,720 --> 00:07:38,280 und dann in den Alltag überzuleiten. 150 00:07:38,280 --> 00:07:41,320 Wichtig ist es zudem, dass das Interview gemeinsam beendet wird. 151 00:07:41,360 --> 00:07:44,760 Es sollte darüber hinaus nicht passieren, dass Termindruck bei der Diagnostiker*in 152 00:07:44,960 --> 00:07:47,520 dazu führt, eine Narration abrupt beenden zu müssen. 153 00:07:47,520 --> 00:07:51,400 Da nach intensiven narrativen Interviews oft in den folgenden Tagen Bedarf 154 00:07:51,400 --> 00:07:55,440 entstehen kann, ist es zu den sinnvoll, ein niedrigschwelliges Angebot für Kontakt 155 00:07:55,440 --> 00:07:55,800 zu machen. 156 00:07:55,800 --> 00:07:58,760 Dazu genügt oft das Angebot zu einem “Jederzeit-Telefonat”. 157 00:07:58,760 --> 00:08:03,200 Sollte also vor dem nächsten Termin Bedarf bestehen, kann sich die Diagnostikant*in 158 00:08:03,200 --> 00:08:04,240 gerne telefonisch. 159 00:08:04,240 --> 00:08:06,480 Und was mache ich jetzt mit den Informationen? 160 00:08:09,720 --> 00:08:10,880 Kurz gesagt 161 00:08:10,880 --> 00:08:14,680 aufzeichnen, Lebensverlaufsdaten, Herausschälen nach Sinn- 162 00:08:14,680 --> 00:08:18,400 und Bedeutungsstrukturen durchforschen und Zusammenhänge herstellen. 163 00:08:18,400 --> 00:08:19,320 Aufzeichnen. 164 00:08:19,320 --> 00:08:23,440 Um möglichst viele Informationen aus einem narrativen Interview zu erhalten 165 00:08:23,720 --> 00:08:26,880 und umfängliche Deutungsmöglichkeiten an die Hand zu bekommen, 166 00:08:27,240 --> 00:08:30,800 bietet es sich in jedem Fall an, das Interview aufzuzeichnen. 167 00:08:30,840 --> 00:08:34,440 Man spricht in diesem Fall auch von isomorpher Protokollierung. 168 00:08:34,480 --> 00:08:38,440 In manchen diagnostischen Verfahren reicht diese Form der Protokollierung 169 00:08:38,760 --> 00:08:41,240 zum Beispiel bei Mollenhauer und Uhlendorf, 170 00:08:41,240 --> 00:08:42,000 in anderen 171 00:08:42,000 --> 00:08:44,960 sollte zusätzlich noch ein Transkript angefertigt werden, 172 00:08:44,960 --> 00:08:47,880 unter anderem bei Goblirsch oder Höpfner und Jöbgen. 173 00:08:47,880 --> 00:08:51,640 Ein Transkript wiederum ist die eins-zu-eins verschriftlichte Form 174 00:08:51,640 --> 00:08:54,680 des Interviews inklusive nonverbaler Aspekte, 175 00:08:54,680 --> 00:08:59,000 also unter anderem in Dialektform mit Auslassungen, Pausen usw. 176 00:08:59,000 --> 00:09:00,760 Lebensverlaufsdaten herausschälen. 177 00:09:00,760 --> 00:09:04,760 Da diagnostische Verstehensprozesse in der Regel auf Erklärungswissen 178 00:09:04,760 --> 00:09:08,040 wie Entwicklungstheorien zum Beispiel beim Mollenhauer und Uhlendorf 179 00:09:08,280 --> 00:09:12,400 und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Beispiel bei Gahleitner zurückgreifen, 180 00:09:12,440 --> 00:09:15,920 benötigt es eine systematische Darstellung von Lebensverläufen. 181 00:09:15,960 --> 00:09:20,520 Hierzu werden aus den Erzählungen biografische Ereignisse oder auch Phasen 182 00:09:20,800 --> 00:09:24,880 herausgeschält und unter anderem in einem Zeitbalken abgebildet 183 00:09:24,880 --> 00:09:26,520 und bei Bedarf noch ergänzt. 184 00:09:26,520 --> 00:09:28,720 Eine hilfreiche Form des Zeitstrahls 185 00:09:29,680 --> 00:09:30,920 ist easyBiograph, dem wir uns gleich zuwenden. 186 00:09:30,920 --> 00:09:33,200 Nach Sinn- und Bedeutungsstrukturen suchen. 187 00:09:33,200 --> 00:09:37,560 An biografischen Interviews interessieren besonders von Diagnostikant*innen 188 00:09:37,560 --> 00:09:39,040 beschriebene implizite 189 00:09:39,040 --> 00:09:43,600 und explizite Bedeutungen bestimmter Ereignisse, Phasen und Themen, 190 00:09:43,600 --> 00:09:47,680 welche mehr oder weniger bewusst Einfluss haben auf das aktuelle Leben 191 00:09:47,680 --> 00:09:51,560 in Form von Einstellungen, Handlungen und Situationsbewertungen. 192 00:09:51,600 --> 00:09:54,800 Wie haben also bestimmte Ereignisse, die Lebensbewältigung 193 00:09:54,800 --> 00:09:57,960 der Adressat*in Sozialer Arbeit geprägt bzw. 194 00:09:57,960 --> 00:09:59,040 prägen sie noch heute? 195 00:09:59,040 --> 00:10:02,720 Die erlebte und gelebte Vergangenheit hält also - um es mit 196 00:10:02,720 --> 00:10:06,720 Richter-Mackenstein zu formulieren - Deutungsmöglichkeiten zu Gründen 197 00:10:06,720 --> 00:10:10,120 und Motiven bereit, welche hermeneutisch, phänomenologisch 198 00:10:10,360 --> 00:10:12,960 und tiefenhermeneutisch interpretiert werden können. 199 00:10:12,960 --> 00:10:15,240 Hierzu wird auf unterschiedliche Deutungsmethoden 200 00:10:15,240 --> 00:10:19,440 und Konzepte zurückgegriffen, zum Beispiel auf die objektive Hermeneutik 201 00:10:19,440 --> 00:10:23,640 oder Psychoanalyse bei Höpfner und Jöbgen oder auf die Phänomenologie 202 00:10:23,880 --> 00:10:27,440 und den symbolischen Interaktionismus bei Goblirsch und bei Schütze. 203 00:10:27,480 --> 00:10:29,840 Zusammenbringen und Verstehen realisieren. 204 00:10:29,840 --> 00:10:33,760 Am Ende werden alle Informationen und Deutungsmöglichkeiten im Sinne 205 00:10:33,760 --> 00:10:37,560 kommunikativer Validierung mit den Diagnostikant*innen besprochen, 206 00:10:37,560 --> 00:10:40,560 um vertiefend das Verstehen und damit letztlich auch 207 00:10:40,560 --> 00:10:44,280 ein Voranschreiten in der konkreten praktischen Arbeit zu ermöglichen. 208 00:10:44,280 --> 00:10:47,280 Wichtig ist an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, 209 00:10:47,280 --> 00:10:50,400 was wir zum Verstehen im Video zum Fall gesagt haben. 210 00:10:50,400 --> 00:10:53,280 Zuletzt ist Verstehen nämlich immer dialogisch 211 00:10:53,280 --> 00:10:56,960 und also wesentlich davon abhängig, mich als Diagnostiker*in 212 00:10:57,200 --> 00:10:59,760 von meinen Adressat*innen korrigieren zu lassen. 213 00:10:59,760 --> 00:11:01,960 Bei allen vier Schritten ist es sehr wichtig, 214 00:11:01,960 --> 00:11:06,040 die Gütekriterien für ideographische Diagnostik im Blick zu behalten. 215 00:11:06,080 --> 00:11:09,080 Hierzu haben wir ebenfalls ein separates Video gemacht. 216 00:11:09,120 --> 00:11:12,720 In der Regel werden hierzu in den einzelnen diagnostischen Verfahren 217 00:11:12,920 --> 00:11:14,560 auch klare Angaben gemacht. 218 00:11:17,840 --> 00:11:18,920 Kommen wir nun endlich zum 219 00:11:18,920 --> 00:11:23,600 easyBiograph und zur Vertiefung des Punkts Lebensverlaufsdaten herausschälen. 220 00:11:23,640 --> 00:11:27,400 Das Instrument hat seinen Ursprung in der niederländischen Sozialpsychiatrie. 221 00:11:27,400 --> 00:11:30,600 Die digitale Entwicklung von easyBiograph wurde unter wissenschaftlicher 222 00:11:30,600 --> 00:11:33,600 Leitung von Peter Pantuček-Eisenbacher, Sabine Sommer 223 00:11:33,640 --> 00:11:37,320 sowie dem Softwareentwickler Nikolaus Kelis an der Fachhochschule St. 224 00:11:37,360 --> 00:11:39,120 Pölten in Österreich vorangebracht. 225 00:11:39,120 --> 00:11:40,560 Bei easyBiograph 226 00:11:40,560 --> 00:11:43,600 handelt es sich um einen biografischen Zeitbalken bestehend aus 227 00:11:43,600 --> 00:11:46,520 mindestens sechs, aber prinzipiell beliebig vielen Dimensionen. 228 00:11:46,520 --> 00:11:50,280 Als Zeitbalken - prinzipiell über die gesamte Lebensspanne - ermöglicht 229 00:11:50,320 --> 00:11:52,880 easyBiograph eine systematische Rückbindung an 230 00:11:52,880 --> 00:11:55,920 die Realbiografie gleichermaßen wie an Narrationen. 231 00:11:55,920 --> 00:11:59,840 Durch die Unterteilung in Dimensionen werden Erzählbestandteile geordnet 232 00:11:59,840 --> 00:12:02,520 und so entsteht eine mehrdimensionale Timeline. 233 00:12:02,520 --> 00:12:05,040 Diese bildet die Grundlage für eine Nachbesprechung 234 00:12:05,040 --> 00:12:08,760 bzw gemeinsame Interpretation unter anderem von Narrationen. 235 00:12:08,800 --> 00:12:11,760 Der biografische Zeitbalken gestattet eine kompakte 236 00:12:11,760 --> 00:12:14,960 und zugleich umfassende Visualisierung des Lebenslaufs. 237 00:12:14,960 --> 00:12:18,400 Auf diese Weise dargestellte biographische Daten verhelfen 238 00:12:18,400 --> 00:12:22,800 dazu, Lebensphasen sichtbar zu machen und in Bezug zur gesamten Lebensgeschichte 239 00:12:22,920 --> 00:12:23,600 zu setzen. 240 00:12:23,600 --> 00:12:26,400 “Der:Die Klientin erfasst die gesamte Lebensgeschichte 241 00:12:26,400 --> 00:12:27,240 auf einem Blick, 242 00:12:27,240 --> 00:12:30,520 wodurch der Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart gespannt wird. 243 00:12:30,560 --> 00:12:31,160 Ziel ist es, 244 00:12:31,160 --> 00:12:32,280 einen Überblick über 245 00:12:32,280 --> 00:12:35,320 bisherige lebensgeschichtliche Episoden und Stationen zu gewinnen, 246 00:12:35,360 --> 00:12:39,720 zeitliche Zusammenhänge zu identifizieren und (bewältigte) lebensgeschichtliche 247 00:12:39,720 --> 00:12:43,040 Herausforderungen illustrierbar war und thematisierbar zu machen.” Und weiter: 248 00:12:43,040 --> 00:12:46,440 “Das vorrangige Ziel der Erstellung des Zeit Balkens 249 00:12:46,440 --> 00:12:50,320 und der nachfolgenden kooperativen Nachbesprechung bzw Interpretation 250 00:12:51,000 --> 00:12:54,840 durch den so aufgespannten lebensgeschichtlichen Kontext Beiträge 251 00:12:54,840 --> 00:12:58,400 für die aktuelle Lebenssituation und die individuelle identitätsstiftende 252 00:12:58,400 --> 00:13:01,400 Lebenserzählung zu finden:” Beim Anlegen eines Zeitbalkens 253 00:13:01,440 --> 00:13:04,480 werden entsprechende Informationen in eine Maske eingefügt. 254 00:13:04,520 --> 00:13:07,560 Vorgezeichnet sind - wie gesagt - sechs Dimensionen, welche 255 00:13:07,560 --> 00:13:10,240 aber um beliebig weitere Dimensionen ergänzt werden können. 256 00:13:10,240 --> 00:13:11,880 Sind die ersten Informationen eingegeben 257 00:13:11,880 --> 00:13:13,840 drückt man den Button Fertig und los gehts. 258 00:13:13,840 --> 00:13:17,520 Nun erscheint die Timeline, in welche per Klick Informationen eingepflegt 259 00:13:17,520 --> 00:13:18,080 werden können. 260 00:13:18,080 --> 00:13:18,680 Unterschieden wird 261 00:13:18,680 --> 00:13:22,560 hierbei zwischen Ereignissen in einem Zeitraum und zu einem Zeitpunkt. 262 00:13:22,600 --> 00:13:25,600 Eine Hochzeit ist zum Beispiel ein Ereignis zu einem Zeitpunkt 263 00:13:25,680 --> 00:13:28,160 und eine Ehe eine Episode über einen Zeitraum. 264 00:13:28,160 --> 00:13:29,040 Zu den Ereignissen 265 00:13:29,040 --> 00:13:32,840 und Episoden können konkretere und auch umfängliche Informationen abgelegt 266 00:13:32,840 --> 00:13:35,760 werden, welche bei erneutem Anklicken in einem Pop up erscheinen. 267 00:13:35,760 --> 00:13:37,280 Wichtig an der Stelle noch zu erwähnen 268 00:13:37,280 --> 00:13:38,320 ist, das Ereignisse 269 00:13:38,320 --> 00:13:41,520 und die Personen unseres Lebens mehrfach zugewiesen werden können. 270 00:13:41,560 --> 00:13:43,640 Die Dimensionen sind also aufeinander bezogen. 271 00:13:43,640 --> 00:13:46,000 So kann zum Beispiel der Zeitpunkt einer Trennung 272 00:13:46,000 --> 00:13:48,800 einer romantischen Beziehung eines Elternpaars 273 00:13:48,800 --> 00:13:50,760 (Dimension Familie) zeitlich assoziiert sein 274 00:13:50,760 --> 00:13:54,480 mit der Entwicklung einer Angststörung bei einem der Partner*innen (Gesundheit) 275 00:13:54,480 --> 00:13:55,320 und der Behandlung 276 00:13:55,320 --> 00:13:59,240 einer Störung des Sozialverhaltens eines der gemeinsamen Kinder und Ähnliches. 277 00:13:59,520 --> 00:14:02,520 Diese Ereignisse könnten unter anderem bei der Diagnostikant*in 278 00:14:02,520 --> 00:14:04,440 das Vertrauen in Menschen generell erschüttert haben 279 00:14:04,440 --> 00:14:07,120 (Assoziationen zur Narration) aber zugleich dazu geführt 280 00:14:07,120 --> 00:14:09,400 haben, sich selbst und das eigene Leben mehr wertzuschätzen 281 00:14:09,400 --> 00:14:10,640 (Assoziation zur Narration). 282 00:14:10,640 --> 00:14:12,240 Einerseits gibt es die Möglichkeit, 283 00:14:12,240 --> 00:14:15,520 die Lebensverlaufsereignisse und Episoden an die Narration anzubinden. 284 00:14:15,560 --> 00:14:19,360 Dabei ist es besonders wichtig, dass wir uns an die ideographischen Gütekriterien 285 00:14:19,360 --> 00:14:21,480 wie zum Beispiel argumentative Interpretations 286 00:14:21,480 --> 00:14:24,520 absicherung, Nähe zum Gegenstand und Triangulierung halten. 287 00:14:24,560 --> 00:14:28,960 Andererseits kann easyBiograph auch ohne narratives Interview verwendet werden. 288 00:14:28,960 --> 00:14:32,160 Es gibt mit dem Instrument auch die Möglichkeit, den Lebensverlauf 289 00:14:32,240 --> 00:14:35,760 unter anderem anhand der Dimension direkt zu erfragen und einzutragen, 290 00:14:35,760 --> 00:14:38,840 auch kooperativ mit den Adressat*innen Sozialer Arbeit. 291 00:14:38,880 --> 00:14:43,280 Bei dieser Form der Erhebung kann prinzipiell jedes erfasste Lebensereignis 292 00:14:43,280 --> 00:14:47,360 und jede erfasste Lebensbepisode zugleich als Erzählimpuls verstanden werden. 293 00:14:47,400 --> 00:14:50,400 Wir haben mit easyBiograph also die Möglichkeit die Inhalte 294 00:14:50,400 --> 00:14:54,280 zum Beispiel in Narrationen systematisch nach Ereignissen und Episoden zu ordnen. 295 00:14:54,320 --> 00:14:55,800 Hierdurch kann dann auch leichter 296 00:14:55,800 --> 00:14:58,320 ein entwicklungspsychologischer Bezug hergestellt werden, 297 00:14:58,320 --> 00:15:02,160 ähnlich wie bei den Auswertungsformen bei Mollenhauer und Uhlendorfs Verfahren 298 00:15:02,160 --> 00:15:03,600 “sozialpädagogische Diagnose”. 299 00:15:03,600 --> 00:15:05,760 Andere Bezüge lassen sich ebenfalls gut herstellen, 300 00:15:05,760 --> 00:15:09,120 denken wir an soziologische, ungleichstheoretische etc.. 301 00:15:09,480 --> 00:15:09,960 Ansätze. 302 00:15:09,960 --> 00:15:12,920 Zur Veranschaulichung hier mal einen ausgefüllten Zeitbalken. 303 00:15:16,000 --> 00:15:19,280 Ein wenig angeteasert haben wir ja bereits, wie wir narrative 304 00:15:19,280 --> 00:15:23,360 Informationen vor dem Hintergrund von Lebensverlaufsdaten auswerten können. 305 00:15:23,400 --> 00:15:27,400 Generell werden Narrationen in allen ideographischen Verfahren 306 00:15:27,680 --> 00:15:30,320 anhand von Kategorienbildung ausgewertet. 307 00:15:30,320 --> 00:15:34,520 Hier liegen nun sechs fertige Dimensionen vor, welche aber beliebig ergänzt werden 308 00:15:34,520 --> 00:15:38,240 können und so die Strukturierungsgrundlage der Narration bilden können. 309 00:15:38,280 --> 00:15:42,520 Dabei sind die aufeinander bezogenen Lebensverlaufsdaten und Narrationen 310 00:15:42,520 --> 00:15:47,040 Grundlage für weitere Analysefragen, unter anderem an implizite Bedeutungen. 311 00:15:47,120 --> 00:15:50,120 Diese werden zum Schluss als Hypothesen kondensiert. 312 00:15:50,160 --> 00:15:50,760 Und dabei gilt: 313 00:15:50,760 --> 00:15:54,640 “Wie bei allen biografischen Verfahren soll von monokausalen Hypothesen 314 00:15:54,640 --> 00:15:55,800 Abstand genommen werden. 315 00:15:55,800 --> 00:15:59,280 Lebensgeschichte liche Vorgänge sind meist zu komplex 316 00:15:59,280 --> 00:16:02,520 für vereinfachte alltagspsychologische Erklärungsversuche 317 00:16:02,520 --> 00:16:07,000 im Stil von Aus Erfahrung A folgt Problem B Trotzdem macht es Sinn, 318 00:16:07,000 --> 00:16:09,960 Ereignisse, die in einem zeitlichen Zusammenhang 319 00:16:09,960 --> 00:16:12,960 stehen, in einen möglichen Bezug zueinander zu setzen. 320 00:16:12,960 --> 00:16:17,120 Solche Thesen werden dem der Biografie Träger als Annahmen, 321 00:16:17,120 --> 00:16:20,200 Gedanken, Ideen und nicht etwa als Expertinnen 322 00:16:20,200 --> 00:16:23,360 Einschätzungen angeboten und mit ihm:ihr erörtert”. 323 00:16:23,640 --> 00:16:26,960 Pantuček-Eisenbacher empfiehlt folgende Orientierungspunkte 324 00:16:26,960 --> 00:16:29,800 bei der Analyse: Durchsicht der einzelnen Dimension. 325 00:16:29,800 --> 00:16:31,440 Wodurch sind sie gekennzeichnet? 326 00:16:31,440 --> 00:16:35,760 Was sind Unterschiede zu “normalen” Biographien, wobei “normal” hier nicht 327 00:16:35,760 --> 00:16:39,640 die gesellschaftliche Normalität meint, sondern die subjektive des*der Klient*in. 328 00:16:40,040 --> 00:16:42,840 Aufmerksamkeit auf Leerräume im Zeitbalken. 329 00:16:42,840 --> 00:16:44,400 Es geht nicht immer nur um eingetretene 330 00:16:44,400 --> 00:16:47,360 - sondern auch um nicht eingetretene Ereignisse, 331 00:16:47,360 --> 00:16:50,000 die prägende biographische Erfahrungen sein können. 332 00:16:50,000 --> 00:16:53,000 Das sind zum Beispiel Zeiten der Erwerbslosigkeit 333 00:16:53,200 --> 00:16:54,840 oder der Wohnungslosigkeit. 334 00:16:54,840 --> 00:16:57,000 Aufspüren von zeitlichen Zusammenhängen. 335 00:16:57,000 --> 00:16:57,360 Gibt es 336 00:16:57,360 --> 00:17:01,120 Ereignisse in verschiedenen Dimensionen, die sich zeitlich überschneiden? Oder 337 00:17:01,120 --> 00:17:04,960 wir können einen Blick auf Kontinuität in ereignisreichen Zeiten haben. 338 00:17:04,960 --> 00:17:06,320 Im Beispiel-Zeitbalken 339 00:17:06,320 --> 00:17:10,560 war das zum Beispiel ein Zeitraum, in dem es Geburten, Hochzeiten, Todesfälle 340 00:17:10,800 --> 00:17:13,720 und eine beruflich anstrengende Zeit gab, in der dann auch 341 00:17:13,720 --> 00:17:15,480 gesundheitliche Themen aufkamen. 342 00:17:15,480 --> 00:17:19,280 Einschätzungen der aktuellen Situation im lebensgeschichtlichen Kontext. 343 00:17:19,280 --> 00:17:21,240 Gab es bereits ähnliche Situation? 344 00:17:21,240 --> 00:17:22,680 Oder was ist aktuell neu? 345 00:17:22,680 --> 00:17:25,680 Was kann aus den Erfahrungen genutzt werden, was benötigt 346 00:17:25,680 --> 00:17:27,000 neue Herangehensweisen? 347 00:17:27,000 --> 00:17:30,800 Neben Deutungen zu Motiven und Erklärungen für Verhaltensweisen 348 00:17:30,840 --> 00:17:33,600 lohnt sich auch der Fokus auf Bewältigungsstrategien. 349 00:17:33,600 --> 00:17:36,640 So werden im Zeitbalken die Phasen, Ereignisse oder 350 00:17:36,640 --> 00:17:40,600 Momente identifiziert, die als schwierig oder herausfordernd beschrieben wurden. 351 00:17:40,640 --> 00:17:44,680 Die zentrale Frage ist dann wie haben Sie diese Herausforderung bewältigt? 352 00:17:44,720 --> 00:17:48,440 Interessant wird es zudem dann, wenn schwierige Themen der Vergangenheit 353 00:17:48,440 --> 00:17:52,200 Ähnlichkeit mit der aktuell herausfordernden Situation aufweisen. 354 00:17:52,200 --> 00:17:54,040 Denn dann kann ein Lösungstransfer 355 00:17:54,040 --> 00:17:56,880 aus der Vergangenheit in die Gegenwart angestrebt werden. 356 00:18:00,240 --> 00:18:00,760 Spielen wir 357 00:18:00,760 --> 00:18:03,840 die ganzen Aussagen mal in einem kurzen Analysebeispiel durch. 358 00:18:03,880 --> 00:18:07,680 Wichtig an der Stelle noch zu erwähnen ist, dass wir nur anteasern und keine 359 00:18:07,680 --> 00:18:09,600 komplette Fallanalyse vorstellen können. 360 00:18:09,600 --> 00:18:15,160 Frau Lissy Gruber wurde am 05.01.1973 in Grainau geboren. 361 00:18:15,240 --> 00:18:17,840 Sie hat zwei jüngere Geschwister Lukas und Liesel. 362 00:18:17,840 --> 00:18:21,920 Ihren Mann Toni hat sie am 01.01.1994 geheiratet 363 00:18:21,920 --> 00:18:24,680 und mit ihm die Kinder Elisabeth, Hans und Schorsch bekommen. 364 00:18:24,680 --> 00:18:25,240 Ein Jahr 365 00:18:25,240 --> 00:18:28,960 nach der Geburt des jüngsten Kindes verstarb ihr Mann bei einem Bergunfall. 366 00:18:28,960 --> 00:18:32,200 Gesundheitlich ging es Frau Gruber bereits kurz vor und nach der dritten 367 00:18:32,240 --> 00:18:34,680 Geburt aufgrund einer Schwangerschaftsdepression 368 00:18:34,680 --> 00:18:35,240 nicht gut 369 00:18:35,240 --> 00:18:38,840 und nach dem Tod ihres Mannes entwickelte sich aus einem Nervenzusammenbruch 370 00:18:38,840 --> 00:18:39,560 eine Depression. 371 00:18:39,560 --> 00:18:42,000 Auch beruflich war sie zu der Zeit sehr belastet. 372 00:18:42,000 --> 00:18:45,360 Halt geben ihr immer ihre Geschwister und das Bergwandern und -steigen. 373 00:18:45,360 --> 00:18:48,360 In die Beratung kam sie, weil sie sich leer fühle. 374 00:18:48,400 --> 00:18:52,800 Was kann aus diesem easyBiograph-Auszug gedeutet und oder interpretiert werden? 375 00:18:52,800 --> 00:18:53,480 Dazu wird 376 00:18:53,480 --> 00:18:57,280 folgend auf die Analyseperspektiven von Pantuček-Eisenbacher Bezug genommen. 377 00:18:57,320 --> 00:18:58,320 Trotz des Abstandes 378 00:18:58,320 --> 00:19:01,600 von monokausalen Zusammenhängen (Wenn - Dann) ergibt es Sinn, Ereignisse, 379 00:19:01,600 --> 00:19:03,320 die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, 380 00:19:03,320 --> 00:19:05,360 in einem möglichen Bezug zueinander zu setzen. 381 00:19:05,360 --> 00:19:07,560 Diese Thesen werden folgend offen angeboten: 382 00:19:07,560 --> 00:19:09,400 “Ich sehe, dass Sie mit drei jungen Kindern 383 00:19:09,400 --> 00:19:11,040 ihren Mann durch einen Unfall verloren. 384 00:19:11,040 --> 00:19:13,440 Schon kurz danach hatten Sie einen Nervenzusammenbruch. 385 00:19:13,440 --> 00:19:14,880 Welchen Zusammenhang sehen Sie?” 386 00:19:14,880 --> 00:19:17,640 “Sie haben innerhalb von ungefähr dreieinhalb Jahren Ihre Kinder bekommen. 387 00:19:17,640 --> 00:19:19,800 Sie waren zu der Zeit beruflich stark engagiert. 388 00:19:19,800 --> 00:19:22,880 Wie haben Sie diese Zeit gemanagt?” Es lohnt sich oft aber auch der Blick 389 00:19:22,880 --> 00:19:27,160 auf die einzelne Dimension und diese in Bezug zur Realbiografie zu setzen. 390 00:19:27,200 --> 00:19:28,880 Manchmal gibt es dabei Widersprüche, 391 00:19:28,880 --> 00:19:31,160 manchmal ist das “Erwartbare” zu besprechen. 392 00:19:31,160 --> 00:19:34,800 So stammt die Frau aus dem Beispiel aus einer sehr touristisch geprägten Gegend 393 00:19:34,800 --> 00:19:38,040 und auch sie hat ihren beruflichen und privaten Lebensweg auf Tourismus 394 00:19:38,040 --> 00:19:40,200 und die Verbindung zu ihren Wurzeln ausgerichtet. 395 00:19:40,200 --> 00:19:42,000 “Sie erscheinen mir sehr mit ihrem Geburtsort, 396 00:19:42,000 --> 00:19:44,120 den dort lebenden Menschen und der Natur verbunden. 397 00:19:44,120 --> 00:19:45,960 Auch beruflich haben Sie dort Fuß gefasst. 398 00:19:45,960 --> 00:19:47,800 Was bedeutet Ihnen diese Verbundenheit?” 399 00:19:47,800 --> 00:19:49,520 Interessant ist der Blick auf Umbrüche, von denen 400 00:19:49,520 --> 00:19:53,160 andere Lebensbereiche unberührt blieben: “Trotz vieler familiärer Veränderungen, 401 00:19:53,160 --> 00:19:55,680 teilweise auch sehr belastende, sind Sie immer weiter 402 00:19:55,680 --> 00:19:58,000 Ihrem Beruf und Ihrer Freiberuflichkeit nachgegangen? 403 00:19:58,000 --> 00:19:59,480 Wie haben Sie das geschafft?” “Sie stehen 404 00:19:59,480 --> 00:20:01,320 ja nun mit vielen Herausforderungen alleine dar. 405 00:20:01,320 --> 00:20:03,120 Trotzdem arbeiten Sie weiterhin auf. 406 00:20:03,120 --> 00:20:04,840 Welche Unterstützung können Sie dabei bauen?” 407 00:20:04,840 --> 00:20:09,000 An einer anderen Stelle dieses Videos haben wir vom Fokus auf Leerstellen 408 00:20:09,000 --> 00:20:10,120 in den Timeline gesprochen. 409 00:20:10,120 --> 00:20:12,360 Diese Leerräume können eine Funktion haben. 410 00:20:12,360 --> 00:20:14,400 “Sie haben mir erzählt, dass Sie viel in Bergen unterwegs sind. 411 00:20:14,400 --> 00:20:15,600 Sie hatten ja auch viele Verletzungen. 412 00:20:15,600 --> 00:20:18,000 Ich sehe aber nur einmal eine längere Reha. 413 00:20:18,000 --> 00:20:19,720 Wie haben Sie es geschafft, wieder gesund zu werden?” 414 00:20:19,720 --> 00:20:22,440 “Trotz einiger Verletzungen sind Sie nie länger ausgefallen. 415 00:20:22,440 --> 00:20:23,280 Was ist ihr Antrieb?” 416 00:20:23,280 --> 00:20:24,840 Es geht natürlich um das Erkennen der 417 00:20:24,840 --> 00:20:28,880 Gesamtzusammenhänge und Wechselwirkungen der Dimensionen bzw Lebensbereiche. 418 00:20:28,920 --> 00:20:32,640 Meist sind die Dimensionen bzw Lebensbereiche nicht gleichermaßen 419 00:20:32,640 --> 00:20:35,840 intensiv thematisiert und damit unterschiedlich in der Grafik abgebildet. 420 00:20:35,840 --> 00:20:39,320 Das kann Rückschlüsse auf Werte, Fokusse und Orientierungen zulassen. 421 00:20:39,360 --> 00:20:43,120 “Sie haben alle Familienthemen ganz exakt datieren können und insgesamt 422 00:20:43,120 --> 00:20:46,320 habe ich sie bei Familienthemen sehr konzentriert und detailliert erlebt. 423 00:20:46,320 --> 00:20:48,840 Was bedeutet Familie für Sie?” “In der beruflichen Laufbahn 424 00:20:48,840 --> 00:20:52,360 haben Sie viele Abschlüsse gesammelt und Ihr Hobby zum Beruf gemacht. 425 00:20:52,440 --> 00:20:54,680 Wie haben Sie es geschafft, das so gut zu steuern?” 426 00:20:54,680 --> 00:20:57,240 Personen kommen in die Beratung, weil sie ein Anliegen haben. 427 00:20:57,240 --> 00:21:00,360 Es geht dann oft um kritische Lebensereignisse, Belastungen, 428 00:21:00,360 --> 00:21:04,560 Herausforderungen oder wie im Fallbeispiel um ein Gefühl von “Leere”. 429 00:21:04,560 --> 00:21:05,440 Ressourcenorientiert kann 430 00:21:05,440 --> 00:21:08,560 in der Biografie nach Situationen oder Phasen Ausschau gehalten 431 00:21:08,560 --> 00:21:11,680 werden, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der aktuellen Situation aufweisen. 432 00:21:11,680 --> 00:21:15,640 Daraus können frühere Bewältigungsversuche und Strategien abgeleitet werden. 433 00:21:15,680 --> 00:21:16,760 “Ich kann mir vorstellen, 434 00:21:16,760 --> 00:21:20,520 dass Ihre Verletzung auch schon mal Ihre private und berufliche Perspektive 435 00:21:20,520 --> 00:21:22,680 gefährdet haben. Sie sind ja körperlich sehr aktiv. 436 00:21:22,680 --> 00:21:25,400 Wie sind Sie denn seinerzeit mit diesen Rückschlägen umgegangen?” 437 00:21:25,400 --> 00:21:27,000 “Welcher Moment oder welche Phase 438 00:21:27,000 --> 00:21:30,000 aus der Vergangenheit hat eine Ähnlichkeit mit der heutigen Thematik? 439 00:21:30,000 --> 00:21:33,120 Wie haben Sie das damals gelöst?” Diese Analyseperspektiven sind 440 00:21:33,120 --> 00:21:36,720 nur eine Herangehensweise an eine Interpretation biografischer Daten. 441 00:21:39,960 --> 00:21:43,120 Biografiediagnostisches Arbeiten ist sehr anspruchsvoll 442 00:21:43,120 --> 00:21:45,240 wie die idiographische Diagnostik generell. 443 00:21:45,240 --> 00:21:48,760 Der Schwerpunkt liegt eben auf der Deutungsarbeit von Erzählungen 444 00:21:48,760 --> 00:21:52,560 zum erlebten Leben im Zusammenhang mit dem tatsächlich gelebten. 445 00:21:52,560 --> 00:21:56,840 Gelebtes Leben ist an sich bereits sehr komplex, wird aber noch komplexer 446 00:21:56,840 --> 00:21:58,320 durch das Erleben desselbigen 447 00:21:58,320 --> 00:22:02,360 und hat zu 100 % Einfluss auf unser aktuelles Leben und Erleben. 448 00:22:02,400 --> 00:22:06,360 Hier relevante Informationen für die konkrete praktische Soziale Arbeit 449 00:22:06,360 --> 00:22:10,080 herauszufiltern, ist Aufgabe biografischer Diagnostik und kann durch 450 00:22:10,080 --> 00:22:14,200 verschiedene Methoden und Instrumente - wie easyBiograph unterstützt werden. 451 00:22:14,240 --> 00:22:17,800 In unserem Video haben wir versucht eine erste Orientierung zu liefern. 452 00:22:17,800 --> 00:22:18,480 Um wirklich fit 453 00:22:18,480 --> 00:22:21,560 in der biografischen Diagnostik zu werden, braucht es aber sehr viel mehr Lernen 454 00:22:21,560 --> 00:22:22,480 und Selbstreflexion. 455 00:22:22,480 --> 00:22:26,160 In dem Zusammenhang möchten wir noch auf eine ergänzende Grundlage verweisen; 456 00:22:26,160 --> 00:22:30,280 das Handbuch zur biographischen Diagnostik von Karin Gauger und Markus Gerl, 457 00:22:30,920 --> 00:22:34,320 welches kostenlos über die Projektseite von TransSoDia bezogen werden kann. 458 00:22:34,320 --> 00:22:36,320 Wir stellen den Link in die Beschreibung. 459 00:22:36,320 --> 00:22:39,480 Im Skript steht jetzt noch Abschlussworte von Sonja und Nico. 460 00:22:40,160 --> 00:22:42,000 In diesem Sinne Ich mache mal den hier. 461 00:22:43,440 --> 00:22:43,720 Tschüss.